Herzlich willkommen zurück, seit meinem letzten Post scheinen die Regentag ein wenig nachgelassen zu haben, was mich sehr freut. Aber diese Hitze muss doch wohl gar nicht sein oder? Die eine Katze liegt hechelnd hinterm Blumenkübel, die andere verzieht sich bei geschlossenen Rollläden schon ins Bett und ich? Naja, ich klebe hier an dem Ledersofa im Wohnzimmer und starre in den Ventilator, auch schön! So langsam neigt sich mein Semester dem Ende zu und ich hab eigentlich wirklich noch die ein oder andere schriftliche Aufgabe abzugeben, man muss ehrlich zugeben, dass dieses Halbjahr sich wenig gezogen hat oder liegt es an der Zwei-statt-Drei-Tage-Woche haha. Ich weiß nicht, jedenfalls komme ich gut zurecht und teile mir neuerdings meine Freizeit auch viel besser ein, ohne gegen Ende hin noch tausend Nachträge machen zu müssen. Es gibt eine Menge an aktuellen Themen, über die ich gern schreiben würde, es mir meistens an Zeit fehlt und ich bei heikleren Dingen ein böses Echo zu erwarten habe. Ich fange jetzt trotzdem damit an. Leider keine Liebesgeschichte, Titel ist irreführend.
In meinem Studenten-Dasein begegnen mir ja wirklich die unterschiedlichsten Menschen, vor allem am Kunst-Campus sind ein paar schräge Vögel dabei, in deren Kopf ich gern schauen würde. Ich hatte in einem meiner Kurse mal eine Person, die sich selbst „Neo“ nannte und der Name ist ziemlich treffend gewählt wie ich finde. Sie/er definierte sich nämlich weder als Mädchen, noch als Junge, sieht dementsprechend doppeldeutig aus; kurze gefärbte Haare, Piercing, Brille, eine bunte Zusammenstellung von Second-Hand-Klamotten. Ich bin mir bis heute nicht sicher, wie Neo geboren ist und auch ehrlich gesagt nicht, was ich mit dem jetzigen Erscheinungsbild anfangen soll. Ich weiß nicht, ob es euch ähnlich geht, doch ich finde es schwierig einen solchen Menschen anzusprechen, die ganze Erscheinung ist so unnahbar, man kennt nicht einmal das richtige Pronomen und selbst die automatisiertesten Gedanken wissen nicht recht, wohin man ihn einordnen könnte. Wäre ein richtiger Schritt, vorher zu fragen, wie Neo es gerne hätte oder übertrete ich damit schon eine unsichtbare Hemmschwelle? Denn in meinem Kopf höre ich mich weiterfragen, erst die Identität, dann nach Geschlecht, schließlich nach Sexualität und dem ganzen drumherum. Unangenehm, denn so bin ich es nicht gewohnt mit einem Fremden umzugeben, nicht mal engeren Freunden würde ich gerne unter die Gürtellinie fühlen. Und hier scheint es eine Art Grundvoraussetzung, meine ganze Liste abzuarbeiten, dass ich auch ja nicht den falschen Ton treffe bei Neo. Tatsächlich habe ich nichts gesagt und mich auf einen anderen Platz gesetzt in der nächsten Stunde. Ich merkte, ich wollte keine Gefühle verletzen, aber ich dachte viel darüber nach und versuchte letztendlich durch Beobachtungen zu meinen Antworten zu kommen. Auch nach vielen „gemeinsamen“ Wochen war ich kein Stück weiter, nicht mal die Farbe der Stimme oder die Züge des Gesichts gaben mir Aufschluss. Bei weiterer Recherche bestätigte sich mein Verdacht, es gibt rein wissenschaftlich nur zwei Geschlechter, sollte es doch im Einzelfall unklar sein, wird sich für das dominantere entscheiden. Bei allen Menschen und Tieren ist das so und nun fordert eine Gruppe ein neues Pronomen, neuen Namen im Pass, eigene Toilettentür und Co. Ich habe Toleranz für alle die Menschen, die psychisch darunter leiden im falschen Körper zu stecken, aber nicht mal die sind irgendwo zwischen den Fronten.
Was sind das nun für Personen, die von sich selbst als „genderfluid“ sprechen? Einige Dokumentationen später summierte sich das Ergebnis im schlichten „Ich passe nicht in die weibliche Geschlechterrolle und eben nicht in die Männliche!“ Ich möchte nicht sagen, dass diese Menschen nicht leiden, zwar spreche ich ihnen den nachweislichen Leidensdruck des im-falschen-Körper-Steckens ab, dennoch haben sie alle ihr Päckchen zu tragen. Und diese Last nenne wir Stereotypen, denn ja so kommt es mir vor, gerade sie sind es, die es mit der Rollenverteilung besonders genau nehmen. Ja in unserer Zeit ist es längst möglich sich als Junge zu schminken, Tanzunterricht zu nehmen und lieber Ballet als Fußball mögen. Als Mädchen Actionfilme gucken, in einer Kfz-Werkstatt arbeiten und lieber weite als enge Klamotten tragen. Ich persönlich finde es nur positiv, dass wir diese alten Klischees endlich loswerden, ihr kennt mich, ich bin manchmal auch lieber ein Raufbold als das süße nette Mädchen. Aber wisst ihr was dazugehört? Eine riesengroße Menge an Mut! Ich weiß noch wie ich in der 7. Klasse das erste mal mit DocMartens zur Schule kam und jeder mich blöd angeschaut hat. Oder wie ich das erste mal voll geschminkt eine Freundin traf, die mich nur ohne Make-Up kannte. Das sind nur Kleinigkeiten, im Gegensatz zu einem Mann, der das erste mal im Kleid die Kinder aus der Kita abholen will, aber jeder weiß, dass es nicht einfach ist so Norm "unkonform" akzeptiert zu werden. Man wird Blicke und Kommentare nicht zu knapp abbekommen, sich Diskussionen stellen müssen, Freunde verlieren und ab und an Gesprächsthema sein. Das ist nicht leicht, vor allem nicht bei einem Heranwachsenden, bei dem vielleicht nicht mal die Familie dahinter steht. Einfacher ist es, sich selbst ein Label zu geben und auf einem Zug aufzuspringen, in dem man nicht alleine sitzt. Der stillschweigend aber dafür sorgt, dass man momentan als etwas ganz besonderes gilt und alle Menschen, sofern sie nicht voreingenommen sind, sich stets bemühen besonders nett und offenherzig auf einen zugehen. Nach ausreichender Betrachtung verstehe ich dies als den einfacher Weg und auch als nachvollziehbar, denn niemand ist gerne alleine der breiten Masse ausgesetzt. Viel mehr sollte jeder einzelne dazu beitragen, dass sich ein jedes Mitglied der Gesellschaft verstanden und akzeptiert genug fühlt, so zu sein und so auszusehen, wie man es selbst aus tiefstem Herzen will. Ich halte dies für eine cleverere Methode auf Dauer, als alle möglichen nicht belegbaren Änderungen zwanghaft durchzusetzen, aber ist ja nur meine ungefragte Meinung.
Nennt mich altmodisch, aber ich glaube das mehr hinter Menschen steckt als ein Label,
nämlich P e r s ö n l i c h k e i t und die kann man nur schwer über sein Geschlecht ausdrücken.